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Literarisches Schreiben bei Suchterkrankungen


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Zusammenfassung einer qualitativen Studie der SFU Wien
Hintergrund: Schreiben als therapeutische Ressource

In der Arbeit mit Suchterkrankungen spielen neben medizinischen und psychotherapeutischen Ansätzen zunehmend auch kreative Verfahren eine Rolle. Expressives und literarisches Schreiben wird dabei als Möglichkeit verstanden, innere Prozesse sichtbar zu machen, emotionale Regulation zu unterstützen und Selbstreflexion zu fördern.

Eine qualitative Studie der Sigmund Freud PrivatUniversität (SFU Wien) untersuchte jetzt, welche Bedeutung literarisches Schreiben für Menschen mit Substanzgebrauchsstörungen haben kann. Grundlage der Untersuchung war der Fit for Life Literary Award, ein Literaturwettbewerb für Personen mit Suchterfahrung.


Die Studie im Überblick

Titel: The “Fit for Life” Literary Award – Writing as an Addiction to Life: A Qualitative Study on Literary Creation in the Context of Substance Use Disorders, Institution:Sigmund Freud PrivatUniversität Wien

Methode:

  • Qualitative Analyse literarischer Texte (Kurzgeschichten, Gedichte), die von Menschen mit Suchterfahrung eingereicht wurden

  • Ergänzende Interviews bzw. schriftliche Reflexionen der Teilnehmenden

  • Auswertung mittels Grounded-Theory-Ansatz

Eine kleine Gruppe von Teilnehmenden mit diagnostizierter Substanzgebrauchsstörung, überwiegend in therapeutischen oder rehabilitativen Kontexten eingebunden.

Ziel der Studie war nicht die Wirksamkeitsmessung im klinischen Sinn, sondern das Verstehen subjektiver Bedeutungszuschreibungen zum Schreiben.


Zentrale Ergebnisse

Aus der Analyse ergaben sich mehrere wiederkehrende Themen, die aufzeigen, welche Funktionen literarisches Schreiben im Kontext von Suchterkrankungen erfüllen kann:

1. Distanzierung und Strukturierung von Erfahrungen: Durch das Schreiben konnten belastende oder biografisch relevante Erfahrungen in eine erzählerische Form gebracht werden. Dies ermöglichte eine gewisse Distanz zum Erlebten, ohne es zu verdrängen. Die Verschriftlichung half dabei, Erinnerungen zu ordnen und kohärenter zu betrachten.

2. Reflexion von Identität: Viele Texte befassten sich mit Fragen von Selbstbild, Fremdwahrnehmung und biografischer Brüche. Das Schreiben wurde genutzt, um sich nicht ausschließlich über die Suchterkrankung zu definieren, sondern andere Aspekte der eigenen Identität sichtbar zu machen.

3. Emotionaler Ausdruck in kontrollierter Form: Die Teilnehmenden bezeichneten das Schreiben als Möglichkeit, Emotionen auszudrücken, für die im Alltag wenig Raum vorhanden war. Anders als spontane Affektäußerungen erlaubte der Schreibprozess eine bewusste Gestaltung und Kontrolle.

4. Sinnstiftende Aktivität und Selbstwirksamkeit: Das literarische Arbeiten wurde von mehreren Teilnehmenden als sinnvolle Tätigkeit erlebt. Der abgeschlossene Text – insbesondere im Rahmen eines Wettbewerbs – vermittelte das Gefühl, etwas Eigenständiges und Wertvolles geschaffen zu haben.


Einordnung der Ergebnisse

Die Studie legt nahe, dass literarisches Schreiben im Rahmen von Suchterkrankungen eine unterstützende Rolle einnehmen kann. Es ersetzt natürlich keine medizinische oder psychotherapeutische Behandlung, kann jedoch als ergänzendes Element zur Förderung von Selbstreflexion, Emotionsverarbeitung und Identitätsarbeit beitragen.Die Aussagen beziehen sich auf subjektive Erfahrungen der Teilnehmenden und sind nicht ohne Weiteres verallgemeinerbar.


Bedeutung für Praxis und Therapie

Für therapeutische und beratende Kontexte kann die Studie relevant sein. Sie zeigt, dass literarisches Schreiben:

  • niedrigschwellig eingesetzt werden kann

  • individuelle Prozesse sichtbar macht

  • Autonomie und Selbstwirksamkeit stärkt

  • nicht zwingend therapeutisch „interpretiert“ werden muss, um wirksam erlebt zu werden

Besonders in Settings, in denen Sprache sonst funktional (z. B. Diagnose, Rückfallanalyse) verwendet wird, eröffnet literarisches Schreiben einen anderen Zugang zum eigenen Erleben.


Fazit

Die qualitative Studie der SFU Wien zeigt, dass literarisches Schreiben für manche Menschen mit Suchterkrankungen eine hilfreiche Ergänzung im Bewältigungsprozess darstellen kann. Es unterstützt Reflexion, emotionalen Ausdruck und Identitätsarbeit, ohne den Anspruch einer eigenständigen Therapie zu erheben.

Damit liefert die Untersuchung eine wissenschaftlich fundierte Grundlage für den Einsatz von Schreiben als begleitendes, kreativ-narratives Verfahren in Beratung, Therapie und Selbsthilfe.


 
 
 

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